
Die Klügere gibt nach: Gestern hat Frauke Brosius-Gersdorf erklärt, dass Sie nicht mehr für ein Amt als Richterin am Bundesverfassungsgericht zur Verfügung steht. Damit beugt sich die Rechtswissenschaftlerin dem Widerstand aus den Reihen der Bundestagsfraktion von CDU und CSU.
Es ist nicht akzeptabel, dass die konservativen Unionsparteien Frauke Brosius-Gersdorf als Bundesverfassungsrichterin verhindert haben. Aber es ist ein Skandal, WARUM sie verhindert wurde. Ein Skandal, WIE sie verhindert wurde.
Die Sache ist gar nicht kompliziert: Für neue Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter gibt es Vorschläge, die kommen aus verschiedenen politischen Lagern. Darüber wird dann im Bundestag abgestimmt, und es ist üblich, dass man sich vorab über die Vorschläge bespricht. Das Bundesverfassungsreicht hat eine hohe Würde, da zofft man nicht vor den Kulissen.
Zumindest hat man das bisher nie getan.
Auch diesmal einigten sich Union und SPD schon vorab auf die Kandidierenden. Das bedeutet Zugeständnisse: Richter X? Naja, der ist sehr konservativ, aber er ist ja nicht allein in der Kammer, da sitzen mehr Leute und das gleicht Vieles aus. Also gut, ja. Richterin Y? Ok, schon sehr liberal, aber wir wollen ja Vielfalt… Also gut, ja.
So lief es auch dieses Mal, und CDU und CSU sagten „Also gut, ja“, zu Frauke Brosius-Gersdorf.
Sie hielten sich nur nicht daran.
Zwischen der Bekanntgabe der Kandidierenden und der Wahl im Bundestag vergingen einige Wochen, in der Rechte, Rechtspopulisten und Rechtsextreme eine Verleumdungskampagne vom Zaun brachen, wie man sie selten gesehen hat. Wie gesagt, Frauke Brosius-Gersdorf war noch nie Konservativ, und sie hatte auch schon immer Kritikerinnen und Kritiker. Doch nun wurden krasse Lügen über die Frau erzählt. Es wurden ihr Positionen angedichtet, die sie noch nie vertreten hat.
All das geschah abseits der großen Öffentlichkeit, auf Kanälen ganz rechts und noch weiter rechts. In Foren, in denen auch die Asylbewerber an Corona schuld sind und Angela Merkel ein Reptil ist. Und es ist und bleibt ein Skandal, wie viele Leute aus der Bundestagsfraktion zweier demokratischer Parteien wie CDU und CSU sich offenbar aus diesen Kanälen informieren.
Dann noch ein paar Kampagnen mit Petitionen, Hatemails und organisierten Empör-Trollen – schon meuterten so viele Unionsabgeordnete, dass es für Frauke Brosius-Gersdorf nicht mehr reichte.
Auf den Eklat im Bundestag folgte Aufklärung. Die eigens auf Frauke Brosius-Gersdorf angesetzten Plagiatsjäger erklärten, an ihrer akademischen Arbeit sei nichts auszusetzen. Faktenchecks belegten, wie verlogen die bizarren Vorwürfe waren, wie erfunden die angeblich so radikalen Positionen einer nie unumstrittenen, aber hoch geachteten Juraprofessorin, die (ganz nebenbei) einen der bedeutendsten Grundgesetz-Kommentare herausgibt. Frauke Brosius-Gersdorf trat sogar im Fernsehen auf, räumte falsche Vorwürfe ab, stellte Ihre Haltungen richtig und erklärte wieder und wieder, dass auch eine Verfassungsrichterin nicht nach Gutdünken urteilt, sondern anhand der Rechtslage. Dass also ihre (gar nicht so extremen) Ansichten ohnehin keine so entscheidende Rolle spielen.
Es hat nichts genützt. Wozu auf Fakten achten, wenn einem ehemalige „Bild“-Chefs und andere rechte Trolle sagen, was man denken soll? Frei nach dem Motto: „Unsere Meinung basierte auf Lügen, aber nun haben wir sie uns halt schon gebildet“.
Das ist ganz bitter. Nicht nur für Frauke Brosius-Gersdorf, nicht nur für das Verfassungsgericht, nicht nur für die SPD und nicht nur für diese Regierungskoalition. Wenn man Abgeordnete der momentan größten demokratischen Fraktion im deutschen Bundestag dermaßen mit rechten Lügen steuern kann, dann ist mindestens diese Fraktion buchstäblich in ganz schlechter Verfassung. Und noch einmal: Hätte sich die Union an den wenigen ECHTEN umstrittenen Positionen von Frauke Brosius-Gersdorf aufgehalten, hätte die Fraktion diese Bedenken dann geäußert, als es Zeit dazu war – man hätte eine Lösung gefunden, statt einen Skandal zu erleben.
Womöglich wird es der Union sogar gelingen, all das Geschehene umzudeuten. Aus Wortbruch, dem Hereinfallen auf Lügen und Fake-News und so viel Sturheit irgendeine Erfolgsgeschichte zu drehen, um von ein paar Tausend rechten Schwurblern auf Telegram gefeiert zu werden (die dann hinterher trotzdem AfD wählen). Wenn Klügere nachgeben, halten Dümmere das oft für Schwäche.
Die Frage ist nur, wie oft Klügere nachgeben. Die Union sollte begreifen, dass sie nach dem Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf unter Bewährung steht.