Bitte anschnallen und festhalten: Als ich das allererste Mal etwas vom Ärger über Friedrich Merz‘ „Stadtbild“-Äußerungen aufschnappte, hielt ich das für ziemlich hysterisch. Es gibt Leute, denen es schon sauer aufstößt, wenn sie zu viele „Fremde“ sehen, wenn sie Sprachen hören, die sie nicht verstehen. Darüber darf man reden, darüber sollte man sogar reden – sonst versteht man gar nicht, was Populisten Zulauf beschert, sonst kann man diese Ängste und Vorurteile gar nicht abbauen. In einer allerersten Sekunde dachte ich, der Kanzler habe genau das gemeint. Hat er aber nicht.
Denn schon eine Sekunde später sprach er nicht über Ängste und Vorurteile, sondern über „Rückführungen“. Und mit jeder weiteren Antwort auf jede weitere Frage zu seinen Aussagen hat es Friedrich Merz seither nur schlimmer und schlimmer gemacht. Eine Anhäufung von Unterstellungen, ein übles Gebräu aus Verallgemeinerung und Ausgrenzung. Ganz viel Meinung und sehr wenig Ahnung. Der Kanzler sprach nicht über Vorurteile – er teilte sie.
Ich kann und will nicht darüber spekulieren, was das soll. Womöglich gab es gar keinen Plan, womöglich schwappte da einfach bedenkliches Gedankengut über. Das wäre auch nicht besser. Der Schaden ist jedenfalls da.
Nicht nur Frauen können sich unwohl fühlen, wenn sie im öffentlichen Raum auf bestimmte Gruppen treffen. Unwohl fühlt man sich bei radikalen Fußballfans genauso wie bei einer Horde junger Wasen-Zecher oder eben bei einem Dutzend junger Geflüchteter. Es muss nicht einmal etwas geschehen – man fühlt sich dennoch nicht wohl. Darüber darf man gerne reden.
Reden darf man auch darüber, wo Gruppen stehen und warum. Die Jungs vom Wasen fahren Zug (besser so), die Ultras wollen ins Stadion, die Geflüchteten treffen sich dort, wo es ein gutes Gratis-W-Lan hat. Und reden sollte man auch darüber, warum es hier nicht um Deutsche und Migranten geht, sondern um Männer und Frauen. Vielleicht wird es eine sehr konservative Seniorin stören, wenn vor dem Bahnhof zehn Mädchen auf Arabisch durcheinanderrufen – aber Angst wird sie vor denen nicht haben.
Reden können wir auch über die Hysterien der sozialen Medien, darüber, dass Deutschland heute so sicher ist wie selten zuvor, sich aber immer mehr Menschen unsicher fühlen. Wir können auch gerne darüber reden, wem diese gefühlte Unsicherheit nützt, wer sie schürt und mit professionellen Mitteln verbreitet.
Über all das könnten wir reden. Sollten das sogar. Aber das können wir nicht, wenn ein Gespräch nach Rassismus und Remigrationsgefasel riecht. Das können wir nicht, wenn man Ängste und Vorurteile nicht abbauen, sondern befeuern will. Das können wir nicht, wenn schon ein erster Satz einem Viertel der ganzen Bevölkerung ins Gesicht spuckt.
Ach so – das Stichwort „Stadtbild“ habe ich nicht vergessen. Die ganze Debatte hat nur absolut nichts mit einem Stadtbild zu tun. Falls der Kanzler mal über Waschbeton sprechen sollte, bin ich gerne dabei.
