Stochblog

Leerstellen

Preisfrage: Wie kann es sein, dass in einem Bundesland massiv Lehrerinnen und Lehrer fehlen, Stunden nicht ordentlich gehalten werden oder ausfallen, Schüler, Eltern und Lehrerkollegien über den Mangel klagen – und das zuständige Kultusministerium sagt, das könne gar nicht sein? Wer hat da einen Knick in der Optik: Die Verwaltung oder alle anderen?

Jetzt könnten wir die Antwort haben: Ja, die Landesverwaltung hat einen Knick in der Optik, genauer gesagt in ihren Zahlen. Ein Fehler in einer Verwaltungssoftware führte womöglich dazu, dass bald 1500 Lehrerstellen zwei Jahrzehnte lang nicht besetzt wurden, obwohl sie eingeplant und im Haushalt finanziert waren. Die grün-schwarze Landesregierung rechnete also mit einem ganzen Dorf an Lehrkräften, die sie zu haben glaubte, aber in Wahrheit gar nicht hatte. Wenn das so wäre, wäre es kein Wunder, wenn die Debatten der vergangenen Jahre immer so etwas Surreales hatten. Das ganze Land schaute auf den echten Mangel an den Schulen, die Kultusministerin und die Landesregierung aber auf ihre falschen Zahlen. Aber Lehrkräfte, die man sich nur einbildet, nützen an den Schulen gar nichts.

Es scheint so, als sei dieser Fehler schon vor 20 Jahren gemacht worden, seither wurde er wurde er von Jahr zu Jahr weitergereicht. Vor bald zehn Jahren war ich selbst auch einmal Kultusminister, und ich hatte damals also ebenfalls Lehrerstellen in den Büchern, die in Wahrheit gar nicht besetzt waren. Freilich war der Lehrkräftemangel damals noch nicht annährend so übel wie heute, und damals musste ich sogar noch gegen die Auffassung ankämpfen, es brauche viel weniger Stellen für Lehrkräfte. Vor allem unsere damaligen Koalitionspartner von den Grünen wollten einen gewaltigen Abbau.

Ein alter Fehler, und so hat es nicht die heutige Kultusministerin zu verantworten, dass 1500 Lehrerstellen einfach aus unseren Schulen gepfuscht wurden. Wohl aber ist es ihre Verantwortung, die verheerenden Folgen dieses Fehlers so schnell wie möglich zu beheben und den entstandenen Schaden wieder gutzumachen. Womöglich haben sich viele, sehr viele Schulen in den vergangenen Jahren eben nicht ohne Grund über mangelnde Lehrkräfte beschwert, womöglich waren all unsere Klagen über schwache Reserven doch kein Oppositionsgetöse. Und vielleicht war die Idee, Hunderten und Aberhunderten aktueller Referendarinnen und Referendare für die Gymnasium keine passenden Stellen anzubieten, nicht nur doppelt, sondern dreifach falsch.

In der Bildungspolitik geht es um Schulen, Kinder und ihre Chancen für ein ganzes Leben. Also jetzt die Fehlplanungen beheben, Lehrkräfte einstellen, Mängel beheben, und vor allem das Geld, das den Schulen zusteht, auch für die Schulen ausgeben.

Wenn all das erledigt ist, können wir uns dann mal genau ansehen, wie es überhaupt zu den falschen Zahlen in der Software des Landesamts für Besoldung und Versorgung kam. Und wir müssen mal überprüfen, ob uns vielleicht auch Polizei- oder Finanzbeamte fehlen. Hat nur das Kultusministerium seine Daten falsch übertragen? Und dann bleibt auch noch die Frage, was mit all dem Geld geschah, dass Jahr für Jahr für die Lehrkräften eingeplant war, die es gar nicht gab. Über 20 Jahre reden wir da von weit jenseits einer Milliarde Euro. Wo blieb das Geld? Was machen wir damit? Ein Sondervermögen für unsere Schulen müsste eigentlich schon angespart sein, wenn es nicht in den obskuren Rücklagen der grün-schwarzen Kassen verschwand.

Das EDV-Programm des Landes, das den Fehler über all die Jahre weiterfuhr, heißt übrigens „Dialogisiertes Integriertes Personalverwaltungssystem“ – abgekürzt „Dipsy“. Und wem das bekannt vorkommt: „Dipsy-doodle“ heißt auf Englisch „Schlangenlinie laufen“ oder „Herumtorkeln“. Wir verstehen jetzt vieles besser.