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Nichtwähler

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Nichtwähler

Bei mehr als einem Dutzend Sommerinterviews können auch merkwürdige Fragen vorkommen. Die AfD, so ein Journalist, sei ja in den Umfragen so hoch wie nie. Das bedeute doch, dass die Partei erfolgreichere Politik mache, mehr im Land und bei den Menschen sei. Und dann sollte ich erklären, was die AfD besser könne als die SPD.

Da fiel mir, ehrlich gesagt, nichts mehr ein.

Es ist erstaunlich, wie oft Umfragen mit Wahlen verwechselt werden. Noch erstaunlicher aber ist, wie oft man einfach Quantität mit Qualität verwechselt. Auch wenn man Mist stapelt, heißt es bei mir daheim, wird kein Getreide draus. Und wenn die AfD 20 Prozent statt zehn Prozent hätte, würde sie deswegen trotzdem keine vernünftige Partei. Im Gegenteil, die verblüffende Inhaltsleere der AfD, die je kürzlich nicht einmal im Grundsatz klären konnte, wie sie zu Europa steht, ist das Geheimrezept: Die AfD ist eine leere Leinwand, auf die sich ganz viel projizieren lässt. Eine Partei im Rückwärtsgang, die nirgendwo hinwill und nirgendwo hinkann, die für nichts steht, außer irgendwie ganz doll dagegen zu sein. Sorry, aber auch noch so viel Prozente bei Umfragen ändern daran gar nichts.

Wir haben ein altes Problem in neuer Schärfe. Viele von denen, die früher gar nicht wählten, wollen jetzt die AfD wählen. Aus Frust, aus Enttäuschung, aus Rache, weil sie von der Politik mehr erwarten. Manchmal auch mehr, als man überhaupt erwarten kann, erst Recht in einer weltweiten Krise.

Und ja, dieser Frust bläst eine Partei auf, die einfach nur schlechte Laune spiegelt. Die schon als randständige Kraft ohne jede Verantwortung zutiefst in Grabenkriege verstrickt ist. Die mit Unwahrheiten operiert und politisches Foulspiel betreibt. Die immer weiß, wogegen sie ist, aber nie, wofür.

Demokratie ist mehr als ein billiges Voting mit „Like“ und „Dislike“. Demokratie bedeutet, per Stimmzettel Richtungen zu bestimmen. Wer eine Bewegung wählt, die nicht einmal die eigene Richtung kennt, wählt nicht einmal falsch. Sondern letztlich gar nicht.

Simsalabim

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Simsalabim

Bundeswehr-Witze sind in der Regel etwas platt. Dieser hier auch: Beim Manöver müssen Soldaten einen Fluss überqueren. Direkt neben einer Brücke, aber auf der steht das Schild „Brücke gesprengt!“. Alle waten durch eine Furt, hangeln sich über Seile oder fahren auf Panzern durchs Wasser. Doch dann sieht der Oberst ein paar Soldaten, die einfach über die Brücke spazieren. Er saust mit dem Auto hin und brüllt: „Die Brücke ist doch gesprengt! Haben Sie das Schild nicht gesehen?“ Die Soldaten nicken eifrig und halten ein Schild hoch: „Wir schwimmen!“.

Wie komme ich drauf? Ach ja, wegen der tollen Schilder und Plakate der aktuellen baden-württembergischen Landesregierung. Die (und diesen Vorwurf sehe ich einfach immer wieder bekräftigt) hat es statt mit dem Regieren eher mit der Regierungssimulation. Das Land wird also besser, attraktiver und fachkräftelockender, wenn man es auf Plakaten „The Länd“ nennt. Offenbar hofft die Stillstandskoalition auf eine Wirkung wie beim Zaubertrick: Es soll halt so aussehen, als ob. Simsalabim! Weiterlesen

Wohnungsnot: Teufel und Weihwasser

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Wohnungsnot: Teufel und Weihwasser

Am Sonntag ist der Mangel an bezahlbaren Wohnungen auf dem Titel einer ebenso renommierten wie sturzkonservativen großen Zeitung angekommen. Die Lage ist inzwischen so schlimm, dass man sie selbst dort nicht mehr übersehen kann.

Umso überraschender das Fazit: Nach einer längeren Analyse, wie es zu der deutschen Wohnungsnot gekommen ist (Verkauf öffentlicher Wohnungen, jahrlanges Wachkoma des Sozialwohnungsbaus), gibt das Blatt zum Besten, es wohnten im Land einfach zu viele ältere Menschen in zu großen Wohnungen oder Häusern. Das nehme den Familien den Platz weg.

Der Betrag endet, ohne seine wilde These offen auszusprechen: Es müssen einfach alle wohlhabenden Senioren in kleine Wohnungen umziehen, dann bekommen die jungen Familien den Wohnraum, den sie brauchen. Denn die Villa in Halbhöhenlage in Stuttgart kostet ja keinen Cent mehr als eine Sozialwohnung. Wie wirr ist das? Weiterlesen

Schattengewächse

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Schattengewächse

Zu einem ausgewachsenen Skandal gehören nicht nur die skandalösen Verhältnisse, die Missstände, die Fehler und Untaten. Zu einem ausgewachsenen Skandal gehört auch eine Öffentlichkeit, die diesen Skandal erklärt bekommt und ihn verstehen kann. Wahrscheinlich ist das der Grund, dass die andauernden Affären um Innenminister Strobl als nicht annähernd so skandalös wahrgenommen werden, wie sie es in Wahrheit sind.

Der Innenminister hat die Öffentlichkeit belogen, als es um das Durchstechen eines Anwaltsschreibens an die Medien ging. Eine Verfahrenseinstellung gegen 15.000 Euro Geldauflage hat er wie einen Freispruch gefeiert. In der Affäre um den Inspekteur der Polizei wurde immer wieder deutlich, welche Klüngelwirtschaft im Hause Strobl herrscht. Doch vor Gericht stand ja nicht der Minister, sondern sein Wunschinspekteur. Und gleichzeitig wurden sogar Vorwürfe der illegalen Einflussnahme im Untersuchungsausschuss laut, wo auch versucht wurde, missliebige Zeugen zu diskreditieren. Und nun musste sich der Innenminister öffentlich (aber bestens versteckt) für Behauptungen gegen die Stuttgarter Tageszeitungen entschuldigen. Nicht die hatten Unwahrheiten behauptet, sondern er selbst beziehungsweise sein Haus.

Die Affären rund um Thomas Strobl haben alles, was ein Politthriller bräuchte: Sex and Crime, mindestens versuchter Machtmissbrauch, eine alteingesessene Partei, die ein ganzes Land für den eigenen Erbhof hält…

In einem Bundesland wie Bayern, in Nordrhein-Westfalen, in Berlin, in Hannover – fast überall anders in der Republik hätte dieser Fall schon längst viel, viel größere Wellen geschlagen, würde die großen Nachrichtenmagazine beschäftigen, wäre ein Fall für die beste Sendezeit. Aber Baden-Württemberg liegt da ziemlich im Schatten. Das ist jetzt keine Medienschelte, sondern nur eine Bestandsaufnahme. Und wenn irgendjemand diesen Zustand aktiv befördert, dann sicher nicht unsere Journalistinnen und Journalisten.

Dass andere uns für etwas langweilig halten, kann uns in Baden-Württemberg egal sein. Doch es sollte uns nicht egal sein, wenn im medialen Schatten politische Nachtschattengewächse wuchern. Da muss Licht in die Finsternis. Viel mehr als bisher.